Die Beweislastumkehr beim Verbrauchsgüterkauf – ein echter Trumpf für Verbraucher

Zu Beginn des Jahres 2022 ist die bereits 2002 aufgrund der Richtlinie 1999/44/EG eingeführte Beweislastumkehr bei Mängeln an gekauften Sachen in Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/771 weiter verschärft worden. Statt nur sechs sind es jetzt ganze zwölf Monate, während deren zugunsten von Verbrauchern vermutet wird, dass eine mangelhaf­te Ware bereits bei Übergabe mangelhaft gewesen sei. Was be­deutet das konkret für Sie?

1. Gesetzliche Regelung

In § 477 Absatz 1 BGB hat der deutsche Gesetzgeber die europäische Richtlinie wie folgt umgesetzt:

Zeigt sich innerhalb eines Jahres seit Gefahrübergang ein von den Anforderun­gen nach § 434 oder § 475b abweichen­der Zustand der Ware, so wird vermu­tet, dass die Ware bereits bei Gefahrübergang mangelhaft war, es sei denn, die­se Vermutung ist mit der Art der Ware oder des mangelhaften Zustands unver­einbar. Beim Kauf eines lebenden Tieres gilt diese Vermutung für einen Zeit­raum von sechs Monaten seit Gefahrübergang.

2. Verbrauchsgüterkauf

§ 477 BGB ist nur bei sog. „Verbrauchsgüterkäufen“ anwendbar, wie § 474 Absatz 2 BGB regelt. Der „Verbrauchsgü­terkauf“ wird in § 474 Absatz 1 BGB gesetzlich definiert als Vertrag, durch den ein Verbraucher von einem Unterneh­mer eine bewegliche Sache (also kei­ne Immobilien) kauft. Wenn Sie beispielsweise einen Gebrauchtwagen von einem Händ­ler kaufen, handelt es sich um einen sog. Verbrauchsgüterkauf.

Damit die gesetzliche Vermutung greift, muss (i) inner­halb eines Jahres ab Gefahrübergang ein Sachmangel an der ge­kauften Ware auftreten und (ii) die Vermutung darf nicht mit der Art der Ware oder der Art des mangelhaften Zustands unvereinbar sein.

3. Sachmangel innerhalb eines Jahres seit Gefahrübergang

Es muss innerhalb eines Jahres seit dem sog. Gefahrübergang, d.h. in der Regel der Übergabe der Sache an den Käufer, ein Defekt, der als Sachmangel i.S.v. § 434 BGB anzusehen ist, auftreten. Beispiel: Am gekauften Gebrauchtwagen zeigt sich nach elf Monaten ein Getriebeschaden, der zur Fahruntüchtigkeit führt. Rostet hingegen der Auspuff eines äl­teren Gebrauchtwagens zehn Monate nach Übergabe durch, wäre dies kein Sachmangel, sondern eine typische Verschleißer­scheinung, für die die Beweislastumkehr des § 477 Absatz 1 BGB nicht gilt.

4. Keine Unvereinbarkeit der Art der Ware oder des Mangels mit der Vermutung

Schließlich darf die Vermutung nicht mit der Art der Sache oder des mangelhaften Zustands „unvereinbar“ sein. Die Vermutung wäre z.B. mit Mängeln an verderblichen Lebensmitteln unvereinbar. Unver­einbar mit der Art der Ware wäre die Vermutung im Falle von typischen Verschleißschäden, wobei nicht ganz klar ist, ob dann von vornherein kein Man­gel im Rechtssinne (§ 434 BGB) vorliegt.

5. Keine Ausschließbarkeit; keine Umgehbarkeit

Die Beweislastumkehr des § 477 Absatz 1 BGB ist gem. § 476 Absatz 1 Satz 1 BGB gesetzlich vorgeschrieben, d.h. der Unternehmer-Verkäufer kann sie nicht bei Vertragsschluss zulasten des Verbraucher-Käufers im Kaufvertrag ausschlie­ßen. Umge­hungskonstruktionen sind ebensowenig zulässig. Verkauft z.B. ein Gebrauchtwagenhändler ein Fahrzeug, das angeblich seiner Ehefrau gehöre, so liegt in den allermeisten Fällen ein sog. Umgehungsge­schäft vor, § 476 Absatz 4 BGB, was dem Händler, der sich seiner Haftung für Mängel entziehen möchte, einen Strich durch die Rechnung macht. Sie können in solchen Fällen die gesetzliche Gewährleistung trotzdem geltend machen.

6. Vermutungswirkung (sog. Beweislastumkehr)

In einem Gerichtsverfahren muss normalerweise diejenige Partei, die sich auf für sie günstige Umstände beruft, diese beweisen. Im Fall einer Beweislastumkehr wechseln die Rollen und die andere Partei ist beweispflichtig. Wenn die Vor­aussetzungen des § 477 Absatz 1 BGB erfüllt sind, muss der Verkäufer darlegen und beweisen, dass ein vom Käufer geltend gemachter Mangel nicht bereits bei Gefahrübergang vorgelegen habe, was sich oftmals schwierig bis unmöglich gestaltet.

7. Fazit

Wenn Sie für private Zwecke eine Sache von einem Unternehmer kau­fen, wird bei auftretenden Defekten ein ganzes Jahr ab der Übergabe ge­setzlich vermutet, dass die Sache bereits im Zeitpunkt der Übergabe man­gelhaft ge­wesen sei. Dies ist ein entscheidender Vorteil für Sie, da Sie nur darlegen und bewei­sen müssen, dass ein Mangel vorliege, nicht jedoch, dass er bereits bei Übergabe vorgelegen habe. Zeigt sich bei einer Ware innerhalb eines Jahres ein Sachmangel, sollten Sie den Mangel daher unbedingt dokumentieren und dem Verkäufer eine Frist zur Reparatur (§ 439 BGB: „Nacherfüllung“) setzen. Hierfür empfiehlt sich das Einwurf-Einschreiben, sollte der Verkäufer nicht auf persönliche Ansprache, Telefonate oder E-Mail hin tätig werden. Reagiert der Verkäufer nicht innerhalb der Frist oder verweigert er ausdrücklich die Nacherfüllung, können Sie entweder den Rücktritt oder die Minderung erklären. Daneben können Sie ggf. zusätzlich Schadensersatz oder Ersatz vergeblicher Aufwendungen fordern.

Stand: Oktober 2025.

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